Berlin. Ist die Rente noch sicher? Viele zweifeln. Die Gewerkschaft will nun die gesetzliche Altersvorsorge mit einem neuen Konzept stärken.

Das Vertrauen in die gesetzliche Rente bröckelt, viele Bundesbürger sind auch von den anderen Vorsorgebausteinen wie Riester- oder Betriebsrente enttäuscht. Von der Gewerkschaft IG Metall kommt ein Vorschlag, der für mehr Stabilität sorgen soll: die Soli-Rente-Plus. Wie sie funktioniert, was sie bringt und welche Risiken es gibt.

Woran krankt das deutsche Rentensystem?

Der demografische Wandel beschleunigt sich. Derzeit liegt das Verhältnis zwischen erwerbsfähigen Personen und Menschen im gesetzlichen Rentenalter noch bei drei zu eins. 2080 könnte es nur noch bei zwei zu eins liegen. Um die gesetzliche Rente weiter finanzieren zu können, wird der Beitragssatz bis 2035 auf 22,3 Prozent steigen. Bislang werden 18,6 Prozent des Bruttoarbeitslohns eingezahlt. Denkbar ist auch, dass das Rentenniveau ab 2039 sinkt. Bis dahin hofft die Bundesregierung – auch mithilfe des neuen Generationenkapitals – die Rente stabil halten zu können.

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Welche Idee hat die IG Metall?

Die Gewerkschaft will die gesetzliche Rente mit zusätzlichen Einzahlungen stärken. Konkret schlagen die Metaller vor, dass Versicherte jährlich einen gewissen Beitrag freiwillig einzahlen können. Im Blick dabei: Beschäftigte, die bei einem Unternehmen mit Tarifvertrag tätig sind.

Die Höhe der Beitragszahlungen soll laut Konzept begrenzt sein – auf maximal vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung. 2024 liegt sie im Westen monatlich bei 7.550 Euro, im Osten bei 7.450 Euro. Arbeitgeber sollen sich, wie auch bei Betriebsrenten üblich, daran beteiligen. Aus Arbeitnehmersicht hält die IG Metall eine Soli-Rente-Plus aber für deutlich attraktiver als bestehende Betriebsrenten, bei denen Arbeitgeber Anlagenrisiken auf die Beschäftigten verlagern würden.

Die Rentenversicherung würde in Ansehen und Bedeutung gestärkt.
Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandmitglied der IG Metall

Die Soli-Rente-Plus könne ein „verlässliches und berechenbares Standardprodukt“ sein. „Niedrige Verwaltungskosten, keine Gewinnerzielungsinteressen, vergleichsweise attraktive Verzinsung und kalkulierbare Leistungen sprechen aus Sicht der Versicherten dafür. Aber auch für Rentenversicherung und Arbeitgeber könnte sich die Soli-Rente-Plus zu einem Win-win-Modell entwickeln: Die Rentenversicherung würde in Ansehen und Bedeutung gestärkt“, sagte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandmitglied der IG Metall, unserer Redaktion. Auch Unternehmen könnten wohl gestärkt werden. Urban verweist auf eine einfache und unbürokratische Art der Altersvorsorge sowie zusätzliche Argumente im Werben um Fachkräfte.

Was müsste dafür geändert werden?

Auch bislang gibt es Möglichkeiten, über die Pflichtbeiträge hinaus freiwillige Leistungen in die Rentenversicherung einzuzahlen. Allerdings ist der Korridor dafür ziemlich eng. Zum Beispiel können bis zum 45. Lebensjahr Beiträge für Ausbildungszeiten nachgezahlt werden. Auch können Versicherte zusätzliche Beiträge einzahlen, um Abschläge bei einer möglicherweise vorgezogenen Rente auszugleichen. Die Möglichkeit, Rentenpunkte zu kaufen, nutzten zuletzt immer mehr Menschen. 2022 waren Einzahlungen auf über eine Milliarde Euro gestiegen. Die IG Metall sieht darin einen Beweis für das hohe Vertrauen der Deutschen in das gesetzliche Rentensystem.

Will man das verstetigen, müsste im Sozialgesetzbuch eine entsprechende Formulierung ergänzt werden, die es Versicherten ermöglicht, jährlich bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze einzuzahlen.

Was bringt das für die Rente?

Das hat die IG Metall von der Universität Potsdam beispielhaft berechnen lassen. Wer über 20 Jahre monatlich 100 Euro eingezahlt hat, hätte bei einem stabilen Rentenniveau von 48 Prozent eine preisbereinigte, zusätzliche monatliche Rente in Höhe von 149 Euro, nach 40 Jahren Beitragszahlungen wären es 376 Euro.

Gibt es Risiken?

Ja, sagt auch die IG Metall. Die Gewerkschaft schätzt vor allem die Regelungen zur sogenannten Nachhaltigkeitsrücklage der gesetzlichen Rentenversorgung als riskant für den Vorschlag ein. Würden nämlich zusätzliche Beiträge fließen, könne es leicht passieren, dass die Rücklage der Rentenversicherung das 1,5-Fache einer Monatsausgabe übersteigt. Laut geltendem Mechanismus müssten dann Beiträge der Versicherten sinken. Das wiederum könnte langfristig für noch mehr Druck auf dem Rentensystem sorgen: Weil Beiträge sinken, wird das Kaufen von Rentenpunkte billiger, noch mehr wird eingezahlt, Beiträge sinken weiter, gleichzeitig werden immer höhere Anwartschaften aufgebaut. Die IG Metall hält das aber für beherrschbar. Darüber hinaus müssten – wie auch im FDP-Vorschlag zur Aktienrente – zusätzliche Mittel angelegt werden. Maßgeblich für die Auszahlung wäre aber nicht der Anlageerfolg, sondern das Rentenrecht.

Was sagen Experten?

Rentenfachmann Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sieht Risiken für das Umlagesystem. „Die IG Metall kann nicht garantieren, dass diese Zusatzbeiträge dauerhaft und sicher in der ausreichenden Menge fließen“, sagte Geyer. Zudem wäre ein weiteres Produkt auf dem Markt, das zum zersplitterten Stand der zusätzlichen Vorsorge beitragen würde.

Was sagen Sozialvertreter dazu?

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) sieht die Initiative der Gewerkschaft positiv. „Die Möglichkeit, freiwillig mehr Beiträge in die gesetzliche Rente einzuzahlen, könnte ein guter ergänzender Ansatz der Altersabsicherung in Deutschland sein“, sagte die SoVD-Vorstandschefin Michaela Engelmeier dieser Redaktion.

Plant die Politik, den Vorschlag umzusetzen?

Eher nicht. Die SPD im Bundestag sieht es als schwierig an, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung ein zweites System aufzubauen. „Ob das Ganze dann auch wirklich einen geringen Verwaltungsaufwand bedeuten würde, halte ich für fragwürdig. Die Rentenversicherung müsste die freiwilligen Beiträge von den Pflichtbeiträgen trennen, denn sonst würde eine Vermischung des Pflicht- und Zusatzsystems stattfinden“, sagte die rentenpolitische Sprecherin Tanja Machalet dieser Redaktion. Auch ob es sinnvoll ist, alles in die gesetzliche Rente zu stecken, bezweifelt die SPD: „Diversifizierung wird in Anlageprodukten mit gutem Grund beworben“, so Machalet.

Auch die FDP hält nicht viel von dem IG-Metall-Vorschlag: „Die Soli-Rente-Plus der IG Metall ist keine Antwort auf die finanzielle Schieflage unserer Rentenversicherung“, sagte die rentenpolitische Sprecherin, Anja Schulz. Die Umlagefinanzierung sei auch schon ohne zusätzlich erworbene Anwartschaften am Limit ihrer Leistungsfähigkeit.