Hamburg. Pastorin Barbara Schiffer darüber, wie man auch in der Krise gelassen bleibt. Schwerpunkt Seelsorge im neuen Magazin Himmel & Elbe.

Die Seelsorge ist zentrales Metier der Kirchen. Das Pastoralpsychologische Institut im Norden ist ein Verein in Altona, der das Seelsorgeangebot der Kirchen ergänzt.

Es bildet Pastorinnen und Pastoren sowie Menschen fort, die in ihrem Beruf oder Ehrenamt seelsorgerisch tätig sind. Pastorin Barbara Schiffer (56) ist Geschäftsführerin des Instituts. Sie hat ihr Büro im Dorothee-Sölle-Haus.

Hamburger Abendblatt: Nehmen Sie derzeit eine seelische Überbelastung in der Gesellschaft wahr?

Barbara Schiffer: Ich erlebe Pastorinnen und Pastoren in den Gemeinden oder in der Krankenhausseelsorge, die davon berichten, dass die Menschen besonders angespannt und belastet sind, und die auch selber mit eigenen Belastungen zu tun haben. Corona war und ist eine Herausforderung, und der Ukraine-Krieg hat auch große Verunsicherung gebracht. Seelsorge hat den Auftrag, da zu sein, wenn Menschen ein Gespräch haben möchten. Es ist ein großer Bedarf da, aber die Frage „Wie kommen wir zueinander?“ ist eine viel grundlegendere Frage geworden im Vergleich zu dem, was vor Corona möglich war.

Wie wir unseren Körper fit halten, wissen wir: Bewegung, gesundes Essen, wenig Zucker. Aber wie halte ich meine Seele fit?

Schiffer: Im biblischen Sinne ist ja Seele ganz eng mit dem Leib verbunden. Sie sitzt im Hals. Das hebräische Wort bedeutet Kehle oder Schlund. Was uns guttut, wenn wir an unsere Seele denken, ist Singen und Atmen. Einatmen und Ausatmen, das passiert so selbstverständlich, aber zu spüren, was sich in mir gerade bewegt, das ist für viele in unserer Zeit eine Herausforderung, weil wir geistig so schnell im Denken, im Reagieren und im Arbeiten sind, dass uns das oft verloren geht. Dann fühlt es sich an wie abgeschnitten zwischen Kopf und Leib. Hohe Konzentration verhindert oft, dass wir mit uns selbst in einen Kontakt kommen. Das ist aber für die Seelsorge, für das Sorgen um die Seele wie um den Leib, total wichtig.

„Pass auf dich auf!“ ist ein Satz, den ich oft höre. Wie kann ich das tun?

Schiffer: Ich kann mit diesem Satz nicht viel anfangen. Das klingt für mich nach Kontrolle. Worauf soll ich denn aufpassen? Dass ich nicht stolpere, dass ich mich richtig ernähre, dass ich gut für mich selbst sorge und so. Das sind alles Dinge, die wissen wir. Aber wir merken, wie schwer das ist und wie oft es uns nicht gelingt. Dann heißt es schnell: selbst schuld. Und dann sind wir in so einer Negativschleife. Es ist sehr schwer, gut mit sich selbst zu sein in einer Welt, die von uns erwartet, dass wir funktionieren und dass wir die Dinge im Griff haben. Wir machen nur gerade die Erfahrung, dass das nicht immer funktioniert.

Die Zerbrechlichkeit und die Verletzlichkeit des Lebens gehören dazu. Krisen wie Corona, Krankheit, Unfälle und auch die Erfahrung mit den eigenen Widersprüchen, wie zum Beispiel: Ich weiß, rauchen ist schädlich, und ich tue es trotzdem – das sind so Erfahrungen, bei denen Menschen merken, dass das Leben eben auch gefährlich ist. Die eigentliche Gefahr besteht darin, das zu leugnen. Wenn ich das aber akzeptiere und im spirituellen oder religiösen Sinne darauf meine Antworten finde, an denen ich mich festhalten kann, dann wird es einfacher.

Wie kann ich unterscheiden zwischen einem Dilemma und dem, was ich verändern kann?

Schiffer: Es gibt dieses alte Gelassenheitsgebet: „Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“ Das ist eine Form von Weisheit. Und es ist auch „learning by doing“.

Was kann ich meiner Seele Gutes tun? Kann ich meinem seelischen Wohlergehen auf die Sprünge helfen?

Schiffer: Das ist sehr individuell, was der einzelnen Seele guttut. Es hilft, sich Zeit für die Übergänge zu nehmen. Das heutige Wort dafür ist Entschleunigung, also einen Gang runterzuschalten, nicht zu schnell von einem ins nächste zu springen. Manche müssen rennen, um Stress abzubauen, oder einmal im Jahr Ski fahren. Andere hören Musik. Rauszufinden, was meins ist, was mir das Gefühl von Erleichterung und Entlastung gibt, das ist hilfreich. Das können kleine Tricks sein: in Ruhe ein Glas Wasser trinken, drei Schritte um den Block gehen oder jemanden aus einer ganz anderen Sphäre anrufen.

Gute Vorsätze scheitern häufig an der Umsetzung. Wie gehe ich damit um?

Schiffer: Das gilt es dann zu akzeptieren. Die Kunst ist, sich dafür nicht auch noch selbst zu bestrafen oder zu verurteilen – „Du bist ja so schwach, hast das nicht hingekriegt“ – und zu wissen, dass es nicht um Perfektionismus geht. Alles zu kontrollieren ist gar nicht unser Auftrag, finde ich, sondern eher, barmherzig mit sich selbst und mit anderen zu sein.

Welche Möglichkeiten der Seelenhygiene hält das Christentum bereit?

Schiffer: Wir haben ganz viel. Das beginnt ja mit der Taufe. Das Dasein wird gefeiert. Du bist Gottes geliebtes Kind. Wir haben das Abendmahl, das ist haptisch, körperlich. Wir haben das Singen und das Sprechen, also die Begegnung im Gespräch. Ich brauche andere, mit denen ich Fragen und Zweifel durchbuchstabieren kann. In der Begegnung, im Austausch, im Gespräch, darin liegt die Seelenhygiene.

Wie gehe ich damit um, wenn ich merke, dass Menschen in meinem Umfeld in seelischer Not sind?

Schiffer: Hingehen und sagen „Ich hab den Eindruck, dir geht es nicht so gut, kann ich was tun?“ und nachfragen, ob mein Eindruck stimmt. Und nicht beleidigt sein, wenn das Gegenüber nicht darauf eingeht. Wenn ich ins Gespräch komme, finde ich wichtig, diesen Seelsorgeraum wirklich als Raum für den anderen zu verstehen und nicht zu sagen: „Das kenne ich auch.“ Professionelle Seelsorge stellt die eigenen Themen zurück.

Was oder wer ist für Sie „Die gute Seele“?

Schiffer: Man spricht davon, dass es in einem Team, in einer Gemeinde oder Familie eine gute Seele gibt. Meistens sind das Menschen, die als hilfreich erlebt werden, die für andere da sind. Es gibt auch eine negative Konnotation darin, im Sinne von „Der lässt sich ausnutzen“. Aber Menschen, die gute Seelen sind, die vermögen es, Dinge zu halten. Also so zu handeln, dass so etwas entsteht wie Gemeinschaftsgefühl oder Zugehörigkeit. Das sind die guten Seelen im besten Sinne.